12. Hennefer Fabrikgespräch mit Dr. Norbert Röttgen

„Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden. Es soll keine Zwangsbeglückung sein.“ – abschließende Worte Dr. Norbert Röttgens – auch mit Blick auf Großbritannien – unter einen eindrucksvoll vielschichtigen Vortrag, auf die die Resonanz der mehr als 100 Gäste nicht positiver hätte sein können.

Wenige Tage vor der Europawahl am 26. Mai 2019 war der ausgewiesene Europa-Experte, der seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2014 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist, auf Einladung der CDU zu Gast in Hennef. Im Rahmen des Formates „Hennefer Fabrikgespräche“ fand die Veranstaltung dieses Mal nicht in der Meys Fabrik, sondern unter dem Motto „Snack & Talk“ im Hennefer Wirtshaus statt und sogar kulinarisch gab es an diesem Abend eine Reise durch Teile Europas ohne langwierige „Grenzkontrollen“ am Buffet – Reisefreiheit, auch diese ein Gewinn eines gemeinsamen Europas.

1992 offiziell gegründet, seitdem stetig überarbeitet und ergänzt, gehören der Europäischen Union (EU) 28 Mitgliedsstaaten an. Und obwohl ihre Anfänge bereits auf die 1950er Jahre zurückgehen, sie sich Herausforderungen wie der Finanzkrise 2007, der Flüchtlingswelle 2015 sowie dem möglichen Brexit besonnen gestellt hat und es uns so gut geht wie noch nie, leben wir in einer nervösen Zeit. „Um die Seele Europas, die Menschenwürde, wird gerungen.“, sagte Röttgen, und dies sei zum ersten Mal lebensgefährlich. Dass diese Wahl eine Schicksalswahl sei, wichtiger denn je, spüren dabei vor allem auch die BürgerInnen, erklärt der 53-jährige; denn zum ersten Mal stünden Demokratie und Toleranz auf dem Prüfstein, Sicherheiten und Gewissheiten verflüchtigten sich.

Röttgen spricht dabei von dem Ende einer Epoche, der Auflösung einer Ordnung, in der wir seit dem Ende des 2. Weltkrieges leben. Da ist zum einen die neue russische Politik, die im Frühjahr 2014 mit der Annexion der Krim begann, im Westen die USA, die mit Donald Trumps Prämisse „America first!“ einen Präsidenten hat, der die Führungsrolle, die die USA seit dem 2. Weltkrieg inne hat, aufgibt und zum anderen der Nahe Osten, der sich als eine permanente Konfliktregion herauskristallisiert und deren Instabilität und Unsicherheit zu einer politischen Spaltung in Europa geführt hat. „Die Welt ist in kürzester Zeit eine völlig andere geworden und wir werden Zeitzeugen einer historischen Veränderung.“, so Röttgen. „Es wird sich eine neue Machtbalance ergeben, die Frage ist nur wann und welche Rolle wir dabei spielen wollen.“ Die Antwort darauf könne keinesfalls deutsch, französisch oder britisch sein; denn global, international seien die Einzelstaaten zu klein, geradezu unbedeutend. „Wir haben nicht die Mittel um uns zu schützen und unsere Interessen zu vertreten.“, so Röttgen, und daher müssen wir Europa weiter fortentwickeln, selber aktiv werden. Vor allem den Deutschen käme dabei eine Schlüsselrolle zu und auch wenn Akteur zu sein hieße, auch mal Fehler zu machen, es müsse jetzt eine Agenda aufgesetzt werden, vielleicht auch nur von einer kleinen Gruppe wie Polen, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die Lösungen benennt für ein gemeinsames zukünftiges Handeln in unterschiedlichsten Bereichen und die einheitlich Stellung bezieht gegenüber den USA, Russland und China. „Man muss auch kämpfen wollen – für die richtige Sache und die richtigen Werte!“, so Röttgens abschließendes Plädoyer für Europa, bevor Hans Peter Lindlar die offene Fragerunde moderierte.
Wie die Politik Europa dabei den Menschen vermittetle und den BürgernInnen diesen so essentiellen Verbund wieder näher bringe, hänge vor allem von einer politischen Führung ab. „Was wir brauchen ist eine geistige Präsenz der Notwendigkeit, eine geistige Tugend.“, erklärte Röttgen. „Wir müssen aus Diskussionen ein demokratisches Instrument machen und gerade bei existenziellen Fragen an ihnen teilnehmen.“ Eine Antwort zu finden unter anderem auf eine erneute Flüchtlingswelle und praktikable Lösungen anzubieten, sei unerlässlich. Hilflos davorzustehen, ruiniere unsere Demokratie, warnte der Europa-Kenner. Und so sei es Aufgabe der Politik, die Menschen hierzulande und in Europa in dieser Zeit nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen zu berühren.

Die Nationalisten von heute seien die wahren Verräter Europas, sagt Röttgen zum Thema „Vaterland und Europa – geht das zusammen?“; denn das eine schließe das andere bei weitem nicht aus, beides sei kein Gegensatz. „Es ist richtig, dass das Vaterland als Identität bleibt, dass Nationalität bleibt. Aber wir können auch gleichzeitig sagen: „Wir sind Europäer.“ – beides ist notwendig und richtig.“, ist Röttgen überzeugt. Den Populisten alleinig den Begriff „Vaterland“ zu überlassen, dürfe nicht passieren. Und so stellt Röttgen auch die Kompetenzen und eigenständigen Identitäten der europäischen Mitgliedstaaten nicht in Frage, vielmehr sollten klassische nationalstaatliche Ämter und Ausschüsse bestehen bleiben, in Fragen wie der Sicherheits- und der Handelspolitik ist ein Miteinander jedoch unerlässlich.

Ein „Ja“ zu Europa ist daher wichtiger denn je; denn nur gemeinsam haben die europäischen Staaten im Ränkespiel der globalen Weltpolitik Gewicht, sind ein starker, ernstzunehmender Protagonist.